Heute war es endlich so weit, dass wir unsere Reise fortsetzen konnten. Wir haben uns von Sami verabschiedet.
Bevor wir Islamabad verlassen haben, wollten wir unsere Gasflasche füllen lassen. Wir hatten eine Adresse von IOverlander, die mitten auf einer chaotischen Marktstraße war. Wir haben den Laden auch schnell gefunden, aber sie haben leider keine Flaschen mehr befüllt. Sie haben uns eine andere Adresse gegeben. Diese war noch tiefer in diesem chaotischen Bezirk mit engen Straßen und niedrighängenden Leitungen. Wir haben trotzdem versucht, den Laden zu erreichen, aber kurz vorm Ziel mussten wir aufgeben. Die Straße war nicht nur extrem eng, aber auch gesäumt mit Marktständen links und rechts und voll mit allen möglichen Verkehrsteilnehmern. Der Todesschuss waren wieder die tiefhängenden Leitungen, es war für uns unmöglich, unter dem Wirrwarr von Drähten durchzukommen. Wenden war auch nicht einfach, aber wir hatten keine Wahl. Also haben wir Islamabad mit halbgefüllter Gasflasche verlassen müssen. Google Maps leitete uns nicht direkt auf den doppelt dreispurigen Motorway, sondern auf andere, erstmal breite, doppelt zweispurige Straßen, über die wir aus Islamabad rausfuhren. Ab und zu fuhren wir durch Polizeicheckpoints, aber keiner wollte etwas von uns. Wir hatten schon ca. 100 km hinter uns gelassen, als wir bei einem Checkpoint angehalten wurden. Der Polizist wollte erstmal unsere Pässe und Visa. Als nächstes hat er mit seinem Vorgesetzten telefoniert. Danach hat er uns mitgeteilt, dass wir hier nicht weiterfahren dürfen. Er hat uns auch gesagt, dass auf dem Motorway alles okay und sicher wäre, aber hier nicht. Wir waren aber nur 10 km von der Motorway entfernt. Wir haben vorgeschlagen, sie sollten uns dann zum Motorway eskortierten. Aber das ging auch nicht. Als wir gefragt haben, warum, wollte er ein NOC (no objection certificate, das wir nur in Baluchistan gebraucht hatten) von uns. Oder wir sollten unsere Botschaft anrufen. Was die Botschaft für uns machen soll oder kann, konnte er nicht erklären. Als wir in der Kommunikation nicht weiterkamen, schalteten wir Hussain aus Sheikupura ein. Er sollte mit dem Vorgesetzen des Polizisten klären, was hier los ist, was die Lösung sein könnte. Als er uns zurückrief, lachte er selber über die absurde Anforderung der Polizei: wir sollten einen schusssicheren Wagen haben, dann dürfen wir durch. Was? Den hat hier nicht mal die Polizei. Aber das Ergebnis war leider trotzdem, dass wir umkehren, 25 km zurückfahren und an einer anderen Stelle auf den Motorway fahren mussten. Nach weiteren 45 km haben wir wieder den Punkt erreicht, wo wir vor zwei Stunden hätten sein können, wenn sie uns die restlichen 10 km zum Motorway hätten fahren lassen. Wahnsinn.
Als wir am Motorway eine große Raststätte gesehen haben, haben wir angehalten um zu prüfen, wie heiß die linke Hinterradachse ist. Sie war leider wieder relativ warm. Marc hat aber das Öl angeschaut und es schien klar zu sein. Erstmal neben, dann über uns war eine riesige, sehr dunkle Gewitterwolke.
Als wir noch mit Marius was zu essen gekauft haben, hat uns der Regen schon erwischt. Zum Glück waren wir wieder schon in der Sicherheit von Fritzchen, als es angefangen hat zu hageln. Das Gewitter ging fast so schnell, wie es kam. Wir fuhren dann auf dem Motorway weiter. Irgendwann wurde aus dem Motorway eine einfache Straße, wo 50 km vor Besham City wieder ein Polizeicheckpoint auf uns wartete. Es war schon dunkel, als wir dort ankamen und die Polizisten wollten uns nicht ohne Eskorte weiterfahren lassen. Man muss dazu wissen, dass bis vor einem Monat Ausländer hier ohne weiteres alleine in der Gegend rumfahren durften. Aber vor ca. 4 Wochen gab es einen Anschlag auf ein Fahrzeug von Chinesen, wobei 4 Ausländer getötet worden sind. Seit dem möchten die Pakistanis nichts riskieren, und alle ausländischen Fahrzeuge bekommen eine Eskorte.
Mehrere Pickups wechselten vor uns, bis wir endlich um 10 Uhr abends in Besham City ankamen. Wir wollten hier im umzäunten Hof vom Hilton Hotel übernachten, wo auch Adam mit seiner Familie vor ein paar Tagen eine Nacht verbracht hat. Die Polizei hat uns dort auch hingeführt und wir sollten in den hinteren Bereich des Hofes fahren, der von außen nicht einsehbar war. Grundsätzlich gute Idee, aber die Einfahrt war so eng, dass wir kaum durchpassten. Und natürlich hing auch hier eine Leitung über der Einfahrt, die viel zu niedrig war. Aber Marc hat es wieder geschafft, Fritzchen irgendwie in den Hof zu manövrieren, ohne die Mauer oder die Leitung mitzunehmen. Die Polizisten wollten nochmal unsere Pässe sehen, bevor sie uns noch tausendmal versichert haben, dass es hier sicher sei. Trotzdem sollten erstmal Polizisten in einem Polizeiauto da bleiben, um auf uns aufzupassen. (Später sind sie dann doch weggefahren, was auch absolut in Ordnung war, da im geschlossenen Hotelhof definitiv keine Gefahr drohte.) Der Hotelmanager hat uns noch informiert, dass die Hotelküche noch offen ist, und wenn wir wollen, können wir gerne zum Abend essen. Wir haben den Vorschlag dankend angenommen und ein leckeres Chicken Handi mit Reis gegessen.
Die Nacht war wie erwartet sehr ruhig. Nach dem Frühstück durfte Marc die Kunst des Vorabends wiederholen, nur diesmal rauswärts. Aber es war ein bisschen leichter als letztes Mal, jemand hat die gestern noch niedrighängende Leitung höhergelegt und wir mussten nicht mehr auf Fritzchens Dach klettern, um sie hochzuheben.
Wir fuhren vom Hotel in Richtung Chilas und ließen Besham City hinter uns.
Bei dem ersten Polizeicheckpoint haben wir wieder eine Eskorte bekommen. Sie wechselten sich später immer wieder ab, manchmal waren sie vor, manchmal hinter uns. Mal war es ein Pickup, mal ein normales Auto, mal ein Motorrad, mal haben wir keine Eskorte gesehen. Sie haben uns nicht wirklich gestört oder behindert.
Der Weg führte durch bergige Landschaft.
Irgendwann haben wir am Straßenrand ein Overlander Fahrzeug gesehen. Als wir näher kamen, konnten wir erkennen, dass sie sogar deutsche sind. Wir haben gleich angehalten, um kurz die Reisenden zu grüßen. Als wir bei der Tür des grauen Reise-LKW waren, kam ein Mann raus. Wir haben uns vorgestellt, worauf er lächelnd gesagt hat: und ich bin Roman. Erst dann wurde uns klar, dass wir zufällig die nächsten Crewmitglieder unserer Chinadurchquerung getroffen haben: Roman und Susanne. Ab diesem Punkt sind wir dann mehr oder weniger zusammen gefahren, mal mit, mal ohne Eskorte. Die Straße war am Anfang in Ordnung, mit glattem Asphalt und Tunneln, frisch gebaut von den Chinesen.
Aber nach 70 km wurde es immer schlimmer.
Erdrutsch (geräumt) quer über der Straße:
Wasserfälle quer über der Straße:
Die Tunnel wurden rustikaler:
An manchen Stellen war es eine einzige Schlaglochpiste im Matsch.
Natürlich haben wir wieder viele schöne pakistanische Lkws getroffen.
Ein kleiner türkiser Gebirgsfluss trifft den großen, braunen Indus
Alte Siedlungen am Fluss:
Die letzten 70 km vor Chilas waren wieder in Ordnung:
Irgendwann kamen wir dann doch vor den letzten Checkpoint vor Chilas an. Sie wollten uns auch hier nicht ohne Eskorte weiterfahren lassen, aber sie hatten kein freies Begleitfahrzeug. Da weder Roman und Susanne noch wir einen Polizisten in unseren Autos mitnehmen wollten und es schon spät nachmittags war, fragte Susanne, ob wir vielleicht hier bei der Polizeistation übernachten durften. Überraschender Weise durften wir es tatsächlich. Es war ein toller Schachzug, weil man nach den Informationen, die wir von Adam bekommen haben, aus Sicherheitsgründen in Chilas weder bei der Polizeistation noch auf dem Parkplatz eines Hotels in dem Auto zu übernachten, sondern musste ein Zimmer mieten.
Also blieben wir vor der Polizeistation stehen. Die Polizisten waren sehr nett und gesprächsfreudig. Sie haben uns sogar eingeladen, ihre Polizeistation anzuschauen. Susanne und ich sind mit ihnen in den von Bäumen und Weintrauben beschatteten Hof und dann in die Räumlichkeiten des Gebäudes reingegangen. Wir waren sogar in der Küche, wo wir frischgebackene Roti geschenkt bekommen haben.
Hier war es auch wahr, was uns überall in Pakistan schon aufgefallen ist. Man sieht viele bärtige, ernst dreinschauende Männer überall in der Öffentlichkeit, die scheinbar grimmig ihre Umgebung betrachten. Sie sehen so aus, wie die westlichen Medien islamistische Terroristen immer abbilden. Man denkt erstmal, hoffentlich ziehen sie keine Kalaschnikow von unter ihren Salwar kamiz (diese pyjamaartige Kleidung, die alle Pakistani Männer tragen) hervor. Und dann sehen diese Männer unser Auto oder uns, schauen in unsere Augen und ihr Lächeln erhellt ihr gesamtes Gesicht. Sie sprechen uns an, sind immer höflich, freundlich und nett. Sehr oft bieten sie uns ihre Hilfe an oder fragen, ob wir was brauchen. Die sind in Wirklichkeit überhaupt nicht so, wie sie laut der Stereotypen sein sollten. In der Realität sind die Pakistanis die freundlichsten Menschen der Erde, die jeden Gast (auch die Frauen!) mit offenen Armen empfangen.
Am nächsten Morgen sind wir dann nach Chilas gefahren. Einer der Polizisten hat uns in unserem Auto begleitet. Er konnten einigermaßen englisch und wir haben uns über verschiedene Dinge unterhalten.
Er war uns auch beim Simkartenkauf und den sonstigen Besorgungen sehr hilfreich. Er hat uns nicht nur beschützt (was eigentlich gar nicht nötig war), sondern auch übersetzt und für uns die Preise verhandelt. Nach Anfangsschwierigkeiten gelang es uns, 2 neue SCOM SIM-Karten zu kaufen und sie sogar aktivieren zu lassen. Das ist wichtig, weil hier in Gilgit-Baltistan die Karten von den üblichen Providern wie Zong oder Jazz nicht funktionieren. Wenn man wenigstens eine Chance haben möchte, Internet zu haben, muss man eine Karte des Providers SCOM kaufen. Das bedeutet nicht, dass man dann definitiv Internet haben wird, aber bei gutem Wetter und ohne Stromausfall, wenn man sich auf der Hauptsraße befindet, hat man wenigstens eine Chance.
Nach den Besorgungen fuhren wir weiter zur Raikot Bridge. Die Berge um uns herum wurden höher und schneebedeckt, aber im Tal, in den Dörfern war es grün und alles blühte.
Wir hielten vor der Brücke an. Wir haben überlegt, zu den Fairy Meadows hochzufahren, um dort eine Nacht zu verbringen. Von dort aus kann man den „Tödlichen Berg“ Nanga Parbat sehen und sogar zum Nanga Parbat Basecamp wandern. Die Straße zu den Fairy Meadows ist allerdings sehr eng, kurvig und schlecht und man darf sie mit eigenem Fahrzeug gar nicht befahren. Man muss von der Raikot Brücke einen Jeep mit Fahrer nehmen und 1-2 Stunden bis zur Jeepstation hochkutschiert werden. Von dort muss man noch weitere 2-3 Stunden wandern. Da es schon mitten am Nachmittag war und Marc immer noch mit einer Erkältung kämpfte, haben wir uns entschieden, die Tour nicht zu machen.
Wir haben uns ein schnelles Mittagessen gemacht und fuhren weiter nach Gilgit. Auf dem Weg dorthin haben einen Aussichtspunkt gefunden, von dem aus wir den Nanga Parbat trotzdem bewundern durften. Wir hatten sogar Glück, die Sicht war größtenteils frei, nur ein Gipfel des majestätischen Riesen war von Wolken bedeckt.
Als wir weiterfuhren, kamen wir zu einem sehr besonderen Ort. Das war der Punkt, wo sich die drei höchsten Gebirgsketten der Welt treffen: der Hindukusch, von Afghanistan kommend, der Karakorum aus China und der Himalaya aus Nepal. Gleichzeitig sieht man hier die Einmündung des Flusses Gilgit in den majestätischen Indus, der in das Arabische Meer mündet.
Von hier aus war es nicht weit bis nach Gilgit, der Hauptstadt von Gilgit-Baltistan. Gilgit-Baltistan, das bis 2009 einfach nur Nordgebiete hieß, ist keine vollwertiger Provinz Pakistans, sondern nur ein „Protektorat“, ein besonderes Sonderterritorium unter Bundesverwaltung. Das Gebiet ist der von Pakistan beherrschte Teil der zwischen China, Indien und Pakistan umstrittenen Region Kaschmir. Die Grenze zu Indien ist die Line of Control (LOC), die 1949 von den Vereinten Nationen festgelegt wurde. Sie war in allen Kaschmirkriegen, zuletzt dem Kargil-Krieg (Dritter Kaschmirkrieg), einem verlustreichen Hochgebirgskrieg mit Kampfzonen auf bis zu 5000 Metern Höhe, wieder umkämpft, im Waffenstillstand von 1999 zog man sich aber erneut auf den Stand von 1972 zurück. Seitdem herrscht Spannung mit einzeln aufflackernden Zwischenfällen. Offiziell herrscht zwischen Pakistan und Indien weiterhin Krieg, da keine Friedensvereinbarung, sondern nur ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde.
Die Stadt Gilgit ist die größte (und einzige bedeutende) Stadt der Provinz, mit engen Straßen und dichtem Verkehr. Wir haben uns zwischen Marktständen, Motorrädern, Autos und Fußgängern bis zum Zentrum der Stadt vorgekämpft, um das SCOM Kundencenter besuchen zu können. Wir wollten dort hin, weil unsere SIM-Karten, die wir in Chilas gekauft haben, leider nicht wirklich funktionierten und wir weiterhin keinen Internetzugang hatten. Als wir beim Kundencenter ankamen, war dieses leider schon zu. Wir mussten erfolglos zum Auto zurückkehren und zu dem ausgesuchten Parkplatz am Fluss fahren. Als wir dort ankamen, waren Roman und Susanne sowie Robin und Alysha mit ihren Fahrzeugen schon dort. Wir hätten trotzdem noch Platz auch für uns finden können, wenn die niedrigen Leitungen über der Einfahrt nicht gewesen wären. Wir haben dann vor dem Zaun auf der Straße geparkt, laut einem Einheimischen, der in der nahen Ministerium arbeitete, war das vollkommen in Ordnung. Er hat uns auch erzählt, dass es neben den SCOM Kundencenter auch viele einfache SCOM Geschäfte in Gilgit gab, die auch jetzt am Abend noch offen wären. Marc ist dann losgelaufen und hat tatsächlich ein Geschäft in der Nähe gefunden, das uns helfen konnte. Danach funktionierten unsere Karten endlich richtig. Internet blieb trotzdem sporadisch, aber es lag nicht mehr auf der SIM-Karte, sondern nur an der schlechten Netzqualität.